BERLIN – BRUCH
DEFINITION BRUCH:
Das körperliche Brechen, Zertrennen eines Gegenstandes, Materials; der Ort des Brechens; ein Auseinandergehen, Trennen im weitesten Sinne von Gegenständen, Materialien, Verbindungen, Zusammenschlüssen; Anatomie: eine Knochenfraktur bei Menschen und Tieren, ein Eingeweidebruch bei Menschen und Tieren; ein Nichteinhalten einer Vereinbarung, Vertrages, Übereinkunft; das (gewaltsame) Auflösen, Lösen einer Verbindung; synonym für: zerbrochene und damit meist in ihrem Wert geminderte Ware; Textiltechnik, Schneidereihandwerk: ein eingebrachter Knick in einer Stoffbahn, in einem Bekleidungsstück; Geologie: eine Verwerfung, eine Störungszone; kurz für: ein Steinbruch; Jägersprache: abgebrochener Zweig; Gangstersprache, gaunersprachlich, Rotwelsch: ein Einbruch. (Andreas Golinski)
Ory Dessau über Andreas Golinskis Arbeit:
Es ist wichtig zu betonen, dass, selbst wenn Golinskis Architekturaktion von einem archivarischen Impuls getrieben ist und sich mit dem Erbe der Vergangenheit auseinandersetzt, wir die Motivation für diese Aktion nur auf Grundlage dieses Drangs beschreiben können, den Ulrich Look, darin Hal Foster folgend, als die architekturbasierten Arbeiten solcher Künstler wie Rachel Whiteread, Sam Durant oder Tacita Dean benennt.1 In Golinskis Arbeit gibt es andere Spannungen. Trotz der unterschiedlichen Grade von Gegenwärtigkeit und Sichtbarkeit in seiner Arbeit greift Golinski, wenn es darum geht, eine traumatische Vergangenheit zu verarbeiten, nicht auf eine Demonstration von Spektralität oder Dematerialisierung zurück, sondern versucht, ungelöste wechselseitige Beziehungen zwischen dem Körperlichen, Mentalen und Historischen zu schaffen.
Ohne ikonografische illustrative Mittel zu verwenden, erschafft Golinski eine Erfahrung, die sich durch das Phänomenologische mit dem Historischen verbindet. Er bringt nicht die Vergangenheit zurück, in dem Sinne, wie wir dies realistischer oder hyperrealistischer Kunst zuschreiben würden. Golinski zufolge kann die Vergangenheit nicht mit konventionellen sprachlichen Mitteln dargestellt werden, deren Verwendung von Überwindung oder Distanzierung ausgeht. Golinski – wenn es mir erlaubt ist, aus seiner Arbeit eine allgemeine Schlussfolgerung über Repräsentation zu ziehen – verweist auf die Vergangenheit als etwas, was gegenwärtig ist, aber diese Gegenwärtigkeit selbst bekommt in seiner Arbeit ihren eigenen Stand, nicht als das Gegenteil von Abwesenheit, sondern als eine dynamische Situation des Erscheinens und des Erscheinens von Verschwinden, von Potentialität und Wirklichkeit, in Beziehung zum konkreten Körper. Wenn in einer phänomenologischen Konzeption die wechselseitige Beziehung zwischen einem Kunstwerk und der physischen Anwesenheit eine utopische Dimension der Erfahrung bietet, dann verwandeln sich in Golinskis Version diese Abhängigkeitsbeziehungen von Utopie in Dystopie, abstrakt in konkret, Körperlichkeit in Gewalt.
1 Ulrich Loock, Builders of the 20th Century, Exhibition Catalog Gregor Schneider, Serralves Foundation, Porto, p. 12
(Übersetzung: Wilhelm Werthern)