SCHLOSS AHAUS – HOMELESS SCULPTURE

Vergangen, offensichtlich
Andreas Golinskis Installation Homeless Sculpture in Schloss Ahaus

Auf Einladung des Kunstvereins Arthaus hat der Künstler Andreas Golinski (*1979 Essen) für Schloss Ahaus eine Rauminstallation geschaffen, die auf die (Wiederauf-)Baugeschichte des barocken Gebäudekomplexes im 20. Jahrhundert reagiert und – in einer zeitgenössischen Perspektive – dem wechselhaften Verhältnis von Architek­tur und Skulptur nachgeht.

Der Kunstverein Arthaus hat seine Ausstellungsräume im Erdgeschoß des Ahauser Schlosses. Das Gebäude ist einer der bedeutendsten frühen Barockbauten in Westfalen (Architekt: Ambrosius von Oelde; Erweiterung/Umbau: Johann Conrad Schlaun). Kurz vor Ende des zweiten Welt­kriegs wurden das Schloss und seine Ausstattung annähernd totalzerstört; lediglich die Außenmauern blieben stehen, u. a. im Bereich des Mittelrisaliten mit seinem reichen bau­plas­tischen Schmuck. Das Innere des Gebäudes wurde nach 1945 neu errichtet, wobei die Raumdisposition des historischen Grundriss‘ in Teilen beibehalten werden konnte. Der zum Ausstellungsbereich des Kunstvereins Arthaus gehörende sogenannte Gartensaal ist gegenüber den übrigen Räumen im Erdgeschoß dadurch ausgezeichnet, dass hier das historische Erscheinungsbild annäherungsweise rekonstruiert wurde. In diesem Raum befinden sich zudem sechs Sandsteinskulpturen (Darstellungen antiker Gottheiten), die der Barockbildhauer Johann Mauritz Gröninger um 1700 für die Gartenanlage hinter dem Schloss geschaffen hat.

Die in den Innenraum versetzten barocken Gartenskulpturen bilden konzeptionell den Ausgangspunkt für Andreas Golinskis Rauminstallation Homeless Sculpture. Denn in ihrer heutigen Aufstellung verweisen sie nach seinem Verständnis nicht nur auf den Barockgarten und die Verlustgeschichte der Schlossanlage insgesamt, sondern zugleich auch auf den radikalen Funktions- und Bedeutungswandel, den die Gattung Skulptur mit ihrem Eintritt in die Moderne durchlaufen hat.[1]

 

 

[1] „Der Verzicht auf die Ortsbindung ermöglichte eine höhere Flexibilität bei der Wahl der Sujets und der Komposition. Trotz dieses Gewinns an künstlerischer Autonomie wurde die Unabhängigkeit der modernen Skulptur von traditionellen Präsentationskontexten (…) als Verlust wahrgenommen. Bezogen auf die Skulpturen von Rodin beschrieb daher auch Rilke das Fehlen dauerhafter Orte der Präsentation mit der Metapher der ‚Obdachlosigkeit‘.“ (Nina Gülicher, Inszenierte Skulptur. Auguste Rodin, Medardo Rosso, Constantin Brancusi, München 2011, S. 19).

Ohne den ursprünglichen (garten)architektonischen Zusammenhang und entlassen aus der Indienstnahme für ‚Memoria‘ und ‚Repräsentatio’ gelingt es den Skulpturen nicht mehr, ihre auf erzählerische Stoffe und Identifikationsmuster gestützte Wirkungsabsicht deutlich zu machen. Auf diese „Ortlosigkeit“ der historischen Götterdarstellungen (u. a. Apollo, Mars, Diana und Aurora) reagiert Andreas Golinski, indem er den Verlust der historischen Verbindung von Architektur und Skulptur gleichzeitig akzentuiert und durch einen von ihm neu geschaffenen Zusammenhang zwischen den Figuren und dem ihnen zugewiesenen Raum ersetzt.

stellen sich dem Gartensaal und seine figurativen und ornamentalen Ausgestaltung entgegen und entwickeln gerade daraus ihre physische Kraft und ästhetische Wirkung. Gleichzeitig jedoch fungiert die selbstbezügliche, Autonomie behauptende Formensprache der Installation als Bestandteil einer den Gartensaal und seine Ausstattung einschließenden räumlichen Inszenierung, die, nachdem sie den Betrachter in Bewegung gesetzt hat, mögliche Erzählungen über die (Wiederauf-)Baugeschichte des Ahauser Schlosses thematisiert und reflektiert. Die verschiedenen Elemente von Homeless Sculpture – sechs hohen Kubaturen, ein raumfüllendes Podest mit einer Zugangsrampe und ein in seiner Mitte aufragendes Stahlelemente – lassen an eine Baustelle oder Grabungsstätte und zugehörige Schutzvorkehrungen denken, an Sicherungsmaßnahmen des Innenraums vor (weiteren) Zerstörungen. Die verwendeten (Bau-)Materialien stützen derartige Assoziationen noch durch ihre „arme“, eher kunstferne Anmutung.

 Die Entscheidung des Künstlers, die weiteren Ausstellungsflächen, die ihm in den übrigen Räumen des Kunstvereins zur Verfügung stehen, umfangreich mit Bauzäunen abzusperren und dadurch dem Besucher zu entziehen, stützt diese Wahrnehmung des überformten Gartensaals. Darüber hinaus legt die weiträumige Absperrung ihrerseits die virtuelle Dimension des hier als white cube hergerichteten Gebäudes offen, da ihr aus dem Stadtraum vertrautes Äußere die Erwartungen des Betrachters im Kontext der Ausstellung wortwörtlich ins Leere laufen lässt. Für Golinski macht erst ein solchermaßen verstellter Blick sichtbar, was er selbst die „Präsenz des Vergangenen“ nennt.

Auf eindrückliche Weise gelingt es dem Künstler mit seiner Installation Homeless Sculpture, die Rekonstruktion des Gartensaals und die teilweise Musealisierung des Schlossbaus für die Dauer der Ausstellung mit deren heute nur noch von Zeitzeugen und in Fotografien erinnerten Zerstörung in einen Erfahrungszusammenhang zu bringen: Die Einbauten des Künstlers machen den Nachbau zu einem Realraum, der einen Blick auf die Bewältigung und die andauernde Wirklichkeit von Kriegszerstörungen zulässt, ohne ihn auszustellen.

(Hans-Jürgen Lechtreck)